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Dialog des Geistes in St. Marien

Idee und Konzeption: Holger von Neuhoff, 2002

Figuren: Dieter Weidenbach/ Sprecher: Bruno Ganz

In allen Kulturepochen gab es ihn auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und den Möglichkeiten des friedlichen Zusammenlebens der Menschen: den Dialog des Geistes.

Die sechs Backsteinfiguren, die hier in einem Dialog vereint sind, sollen ein Symbol für die Bereitschaft zum Gespräch sein. Als Vertreter unterschiedlicher Kulturen und Religionen treten sie mit Originalzitaten aus ihren Schriften in einen Dialog über Gott und seine Schöpfung.

Es sprechen: ein Pilger, der streitbare Zisterzienserabt Bernhard von Clairvaux, der Philosoph und Theologe Petrus Abaelard, der persische Dichter Hafis, der Rabbi, Arzt und Philosoph Moses ben Maimon, der auch Maimonides genannt wurde und Parzival, der Held aus Wolfram von Eschenbachs berühmten Ritter-Epos.

Lassen Sie sich auf den Dialog ein!

Ein Pilger

Das Pilgerwesen gehört zu den bedeutendsten Phänomenen mittelalterlicher Religiösität: Es zeigt den Menschen auf seiner persönlichen Suche nach Gott. Seine körperliche Reise symbolisiert einen spirituellen Weg zu Gott.


„Nimm diese Tasche als Zeichen der Pilgerschaft, damit du geläutert und befreit zurückkehren mögest. Die Tasche ist klein. Der Vorrat, den sie enthält, ist mager, denn du sollst auf den Herrn vertrauen. Sie ist offen und oben ungebunden, damit du freigiebig bist in deinen Almosen. Sie ist aus der Haut toter Tiere, da auch du die Laster und Begierden deines Fleisches durch Hunger und Durst, Fasten, Kälte und Entbehrung abtöten sollst.

Nimm auch den Stab, gleichsam als deinen dritten Fuß, er beweist deinen Glauben an die Dreieinigkeit, er verteidigt dich gegen die Wölfe und Hunde und gegen deine Feinde, damit du sicher zurückkehren mögest.

Gehst du aber nach Jerusalem, so trage eine Palme als Zeichen deines Triumphes. Gehst du nach Santiago zum heiligen Jakobus, so trage eine Muschel als Zeichen deiner guten Werke.“

aus: Codex Calixtinus, sog. Pilgerführer, 1140

Moses ben Maimon, auch Maimonides (1138-1204)

Der Arzt und Philosoph gilt als bedeutendster jüdischer Gelehrter des Mittelalters. In seinen Werken versucht Maimonides, Wissenschaft und Philosophie mit jüdischem Glauben und jüdischer Frömmigkeit in Einklang zu bringen.

Sein Hauptwerk, der „Führer der Unschlüssigen“, fand im 13. Jahrhundert weite Verbreitung, auch unter christlichen Theologen.


„In dem Dasein Gottes hat das Dasein von allem seinen Grund, und er ist es, der durch das, was man Emanation nennt, seinen dauernden Bestand bewirkt. Wäre es also möglich, dass Gott zu sein aufhörte, so müsste alles Seiende zu sein aufhören, und es müsste das Wesen der entfernteren Ursachen ebenso wie das letzte Verursachte und alles Dazwischenliegende zunichte werden.

Ist dem aber so, so ist Gottes Verhältnis zur Welt ähnlich dem Verhältnis der Form zu dem Dinge, das die Form hat, durch die es das ist, was es ist, und in der sein Wesen und sein Begriff besteht. Und von diesem Gesichtspunkte aus können wir also von Gott sagen, er ist die letzte Form, die Form aller Formen, nämlich er ist es, auf das Dasein jeder Form im Weltall und ihr Fortbestand in letzter Linie beruht und dem es seinen dauernden Bestand zu verdanken hat, so wie die Dinge, die Formen haben, durch ihre Form bestehen.

Und deshalb wird Gott in unserer Sprache cha ha olamim, d.h. das „Leben der Welt“ genannt.

aus: „Leitung der Ratlosen“, auf Arabisch erschienen um 1190. 1204 ins Hebräische übersetzt unter dem Titel „Führer der Unschlüssigen“.

Petrus Abaelard (1079-1142)

Der frühscholastische Philosoph und Reformtheologe verfasste u.a. das „Gespräch eines Philosophen, eines Juden und eines Christen“. Sein Traum: Eine Menschheit, die sich über alle Glaubensgegensätze hinweg auf die Suche nach Gott macht.

Auch in Glaubensfragen setzte Abaelard auf die Vernunft: „Indem wir nämlich zweifeln, ... erfassen wir die Wahrheit“. Mit diesem modernen Standpunkt näherte er sich der biblischen Überlieferung und kirchlichen Lehrsätzen. 1141 wurden Abaelards Schriften als ketzerisch verurteilt.


„Liebe Schwester Heloisa, einst mir teuer in der Welt, nun erst ganz teuer in Christus: um der Logik willen bin ich der Welt verhaft. Die blinden Blindenleiter, deren Weisheit Verderben ist, behaupten nämlich, in der Logik sei ich zwar wohlbewandert, aber im Paulus – da hinke ich stark. Und während sie meinen Scharfsinn preisen, verdächtigen sie die Reinheit meines Glaubens. Denn, wie mir scheint, folgen sie nur ihrem Vorurteil, statt durch die Erfahrung sich leiten zu lassen.

...

Ich glaube an den Vater, Sohn und Heiligen Geist, an den von Natur einen und wahren Gott, der in seinen Personen die Dreieinigkeit so darstellt, dass er in seiner Wesenheit stets die Einheit bewahrt. Ich glaube, dass der Sohn in allem dem Vater gleich ist, an Ewigkeit, Macht, willen und Werk. Ich folge nicht dem Arius, der verblendeten Sinns, ja, von teuflischem Geist verführt, Stufen in der Dreieinigkeit annimmt, indem er lehrt, dass der Vater größer, der Sohn kleiner sei und das Gebot vergisst: „Du sollst nicht auf Stufen zu meinem Altar heraufsteigen.“ Denn auf Stufen steigt zum Altar Gottes empor, wer ein Früher und Später in der Dreieinigkeit setzt. Auch den Heiligen Geist bekenne ich als wesensgleich und eins mit dem Vater und dem Sohne wie denn meine Schriften vielfach erklären, dass ihm der Name der Liebe zukomme. Ich verdamme den Sabelius, der behauptet, dass Vater und Sohn ein und dieselbe Person seien und dass der Vater gelitten habe, woher seine Anhänger Patripassianer heißen.

Ich glaube auch, dass der Gottessohn zum Menschensohn geworden, dass er, obwohl eine Person, aus und in zwei Naturen besteht. Der, nachdem er seine Aufgabe in der angenommenen Menschennatur erfüllt hatte, gelitten hat, gestorben und auferstanden ist, aufgefahren gen Himmel, von dannen er wieder kommen wird, zu richten die Lebendigten und die Toten.

Ich behaupte auch, dass in der Taufe alle Sünden vergeben werden, dass wir der Gnade bedürfen, um das Gute anzufangen und zu vollenden, und dass die Gefallenen durch Buße wiederhergestellt werden. Über die Auferstehung des Fleisches aber – was brauche ich darüber zu sagen, da ich mich des Christennamens vergeblich rühmen würde, wenn ich nicht glaubte, dass ich auferstehen werde?“

aus: Der Briefwechsel mit Heloisa[1]

Bernhard von Clairvaux (1090-1153)

Der Gründungsabt des Zisterzienserklosters Cîteaux brachte seinen Orden zu hoher Blüte. Er hatte großen Einfluss auf kirchliche und weltliche Machthaber, auch in der Auseinandersetzung um die Lehren von Petrus Abaelard. Erfolgreich arbeitete Bernhard von Clairvaux am Zustandekommen des Zweiten Kreuzzugs (1147-1149). Zugleich wandte er sich jedoch gegen die weltliche Herrschaft der Päpste und empfahl diesen Armut, Demut und die Beschränkung auf das religiös-kirchliche Gebiet. Bernhard von Clairvaux gilt als Begründer der mittelalterlichen Christus-Mystik.


„Und es ist nicht verwunderlich, wenn ein Mensch, der sich nicht kümmert, was er sagt, und in die Geheimnisse des Glaubens eindringt, die verborgenen Schätze der Frömmigkeit so ehrfurchtslos angreift und zerpflückt, da seine Gedanken über die Frömmigkeit des Glaubens weder fromm noch gläubig sind. Schließlich bezeichnet er am Beginn seiner „Gotteslehre“ – oder eher „Torheitslehre“ den Glauben als eine Meinung. So kann es darin gewissermaßen jedem freistehen zu denken und zu sagen, was ihm beliebt, und die Sakramente unseres Glaubens schwanken unsicher in unsteten und mannigfachen Vermutungen, statt auf sicherer Wahrheit zu fußen.

Ist nicht unsere Hoffnung nichtig, wenn der Glaube ein Spielball der Meinungen ist? Töricht waren also unsere Märtyrer, wenn sie für Unsicheres solche Qualen auf sich nahmen und nicht zauderten, durch einen bitteren Tod eine lange Verbannung anzutreten, wenn die Aussicht auf Belohnung zweifelhaft ist.

Aber fern sei der Gedanke, dass in unserem Glauben oder in unserer Hoffnung, wie er glaubt, irgendetwas aufgrund seiner zweifelhaften Meinung auf unsicheren Füßen steht; dass sich nicht vielmehr jeder Glaubensinhalt auf die sichere und feste Wahrheit stützt, durch Prophezeiungen und Wunder von oben bestätigt, gefestigt und geweiht durch die Geburt der Jungfrau, durch das Blut des Erlösers und den Glanz des Auferstandenen. „Diese Zeugnisse sind treu bewährt“ (Ps 92,5). So „bezeugt“ schließlich „der Geist selber unserem Geist, dass wir Kinder Gottes sind“ (Röm, 8, 16). Wie kann es also jemand wagen, den Glauben eine Meinung zu nennen, außer wenn er diesen Geist noch nicht empfangen hat oder das Evangelium nicht kennt oder für eine Fabel hält?

„Ich weiß, wem ich geglaubt habe und bin sicher“ (2 Tim 1,12), ruft der Apostel, und du zischelst mir ins Ohr: „Der Glaube ist eine Meinung“? Was für uns das Sicherste ist, darüber schwätzst Du mir wie über etwas Ungewisses? Ganz anders aber spricht Augustinus: „Der Glaube besteht nicht darin, dass der, der in hat, im Herzen, in dem er sich regt, eine Vermutung oder Meinung hat, sondern er ist ein sicheres Wissen, gestützt auf das Gewissen“ (Augustinus, De Trinitate, XIII.3). Weit von uns gewiesen sei also der Gedanke, dass der christliche Glaube Grenzen haben könnte! Es sind dies Ansichten der Akademiker, deren Eigenheit es ist, an allem zu zweifeln und nichts zu wissen.

Ich aber halte mich getrost an das Wort des Lehrers der Völker und weiß, dass ich nicht beschämt werde. Ich gestehe, mir gefällt seine Definition des Glaubens, auch wenn unser Mann da sie insgeheim anzweifelt. „Glaube“, sagt er, „ist ein Feststehen, in dem, was man erhofft, und ein Überzeugtsein von Dingen, die man nicht sieht“ (Hebr 11,1). „Feststehen in dem, was man erhofft“, nicht die Einbildung leerer Vermutungen! Du hörst, dass er von „Feststehen“ spricht; es ist dir also nicht erlaubt, über den Glauben irgendeine Meinung zu äußeren oder nach Belieben zu diskutieren, nicht unstet bald nach der einen, bald nach der anderen Seite in törichten Meinungen und abwegigen Irrtürmern zu schwanken.

Mit dem Wort „Feststehen“ wird dir etwas Sicheres und Festes eingeprägt; du wirst in sicheren Grenzen eingeschlossen und innerhalb fester Grenzlinien gehalten, denn der Glaube ist nicht Meinung, sondern Gewissheit.“

aus: Brief von Bernhard von Clairvaux an Papst Innozenz über jene Irrlehren des Petrus Abaelard. Zitiert nach: Sämtliche Werke Bd. III

Hafis, eigentlich Muhammad Schams ad-Din (um 1326-1389/1390)

Hafis´ Gedichte preisen vordergründig die Schönheit der Natur, die Liebe und den Wein. Wegen ihrer Spiritualität wurden die Gedichte Hafis´ in der islamischen Welt auch als Orakel genutzt. Der Name Hafis ist ein islamischer Ehrentitel und bedeutet übersetzt „Der den Koran im Gedächtnis Bewahrende“.

Fast 600 Gedichte des persischen Dichters wurden nach dessen Tod in einer Werkausgabe, einem so genannten Diwan, zusammengestellt. Dessen Übersetzung regte Goethe zu seinem 1819 erschienenen „West-östlichen Divan“ an.


„Steh auf, wir wollen das Ordenskleid

zur Schenke tragen.

Wir wollen heiliges Gaukelspiel

zu Markte tragen.

Die Ohren habe ich mir verstopft

vor aller Predigt.

Wie lang ihr Prediger wollt ich noch

die Schande tragen?

Und werden Dornen von Frommen uns

in den Weg geleget,

Belohnen wollen mir Rosen wir

solch ein Betragen.

...

Ich will die Pauke von deinem Ruhm

im Himmel schlagen,

Ich will der Liebe Panier bis an

die Sterne tragen.

Im Felde des jüngsten Gerichts wird einst

der Staub der Füße

Auf allen Scheiteln als Kronenzier

und Schmuck getragen.“

aus: Der Diwan. Übersetzt von Joseph von Hammer- Purgstall, Stuttgart/ Wien 1812/1813. Bd. II, S. 187.

Parzival

Wie sich ritterlich-höfisches Ideal und göttlicher Wille in einer Existenz miteinander verbinden, das versinnbildlicht Parzival, der Titelheld des gleichnamigen Versepos von Wolfram von Eschenbach. Das um 1300 verfasste Werk war zu seiner Zeit eine literarische Sensation und gehörte zu den meistgelesenen Schriften des Mittelalters.

Die Gnade Gottes führt Parzival letzlich zum Gral, in dem der Dualismus von Gott und Welt aufgehoben wird.


„Ist Unentschiedenheit dem Herzen nah, so muss der Seele daraus Bitterkeit erwachsen. Verbindet sich – wie in den zwei Farben der Elster – unverzagter Mannesmut mit seinem Gegenteil, so ist alles rühmlich und schmachvoll zugleich. Wer schwankt, kann immer noch froh sein; denn Himmel und Hölle haben an ihm Anteil. Wer allerdings den inneren Halt völlig verliert, der ist ganz schwarzfarben und endet schließlich in der Finsternis der Hölle. Wer dagegen innere Festigkeit bewahrt, der hält sich an die lichte Farbe des Himmels.

Dieses geflügelte Gleichnis erscheint törichten Menschen allzu flink. Sie erfassen seinen Sinn nicht: es schlägt Haken vor ihnen wie ein aufgescheuchter Hase. Es ist wie der Spiegel und der Traum des Blinden, die ja nur ein flüchtiges, oberflächliches Bild geben, ohne greifbaren Gegenstand dahinter. Ihr trüber Schein ist unbeständig, und sie machen wirklich nur kurze Zeit Freude. Wer mich an der Innenfläche der Hand rupfen wollte, wo doch nie ein Haar wuchs, der müsste schon sehr nahe greifen können, sehr gewitzt sein. Riefe ich da vor Schrecken noch ach und weh, gäbe das ein trauriges Bild von meinem Verstande. Was suche ich aber auch gerade dort Beständigkeit, wo es in ihrer Natur liegt zu verschwinden, wie die Flamme im Quell oder der Tau in der Sonne!“

aus: Wolfram von Eschenbach, Parzival, Prolog. Übersetzt ins neuhochdeutsche von....